[Editorial] In einem Schritt, der die Landschaft des Online-Modehandels weiter prägen wird, hat Shein – der schnell aufsteigende Mode-Onlinehändler aus China mit Sitz in Singapur – die Umsetzung eines im Juli angekündigten Strategiewechsels in die Tat umgesetzt: Die Plattform, deren App in Deutschland bereits auf mehr Smartphones installiert ist als die von Zalando, öffnet sich nun offiziell für externe Modemarken.
Die bevorstehende Listung der ersten Fremdmarken auf Shein läutet eine neue Ära ein und setzt gleichzeitig etablierte Marktteilnehmer und Marktplätze wie Zalando verstärkt unter Druck. Dieser kalkulierte Schachzug von Shein zielt darauf ab, die eigenen Marktanteile im europäischen Onlinehandel konsequent und beschleunigt auszubauen.
Bereits im Juli 2023 deutete Peter Pernot-Day, Global Strategy Director von Shein, in Interviews mit der Wirtschaftspresse an, dass eine solche Öffnung der Plattform geplant sei.
Mit dem klaren Ziel, den europäischen Markt noch stärker und schneller zu dominieren, prägt Shein nicht nur die Fast-Fashion-Branche, sondern definiert auch, was es heißt, ein Fast-Business zu sein.
Die Ausweitung des Geschäftsmodells von Shein auf andere Marken ist ein strategischer Schachzug, der das Unternehmen in direkte Konkurrenz zum Kerngeschäft von Zalando bringt. Zalando hat sich im Laufe der Jahre als Plattform etabliert, die eine Vielzahl von Marken vereint und den Kunden ein abwechslungsreiches Einkaufserlebnis bietet. Sheins Expansion könnte jedoch seine Position auf dem deutschen Markt weiter stärken und den Marktanteil von Zalando gefährden.
Diese Entwicklung kommt zu einem Zeitpunkt, an dem Zalando bereits wirtschaftliche Herausforderungen signalisiert hat. Das Unternehmen musste im dritten Quartal einen Umsatzrückgang um 3,2 Prozent auf 2,3 Milliarden Euro prognostizieren. Auch die Zahl der Kunden sank auf 50,1 Millionen. Im Vergleich zum Vorjahr, als Zalando erstmals die symbolische Umsatzmarke von einer Milliarde Euro überschritten hatte, ist dies ein deutlicher Rückschlag.
Was bedeutet der Schritt für den deutschen Online-Modehandel?
Zunächst einmal steht Zalando vor der schwierigen Aufgabe, seine Marktposition zu verteidigen und sich gegen einen Angreifer zu behaupten, der bereit ist, sein Geschäftsmodell zu erweitern und potenziell noch attraktiver für Marken und Käufer zu werden. Die Plattform von Shein, die bereits für ihre Preisaggressivität und Trendgeschwindigkeit bekannt ist, könnte nun zu einem Sprungbrett für kleinere Marken werden, die nach Reichweite suchen und Zalando nicht nur Kunden, sondern auch Umsatz abjagen.
Entscheidend wird sein, wie Zalando auf diese Herausforderungen reagiert
Die Entwicklung hin zu einer schnellen, preisorientierten Mode hat einen Markt geschaffen, der sich hauptsächlich auf den Massenkonsum konzentriert. Die Expansionsstrategie von Shein, die darauf abzielt, eine breite Produktpalette schnell und billig anzubieten, könnte kurzfristig den europäischen Markt erobern. Langfristig birgt dieser Ansatz jedoch Risiken, nicht nur für die traditionellen Akteure, sondern auch für die Umwelt und die sozialen Strukturen der Branche.
Für die Verbraucher könnte die Öffnung von Shein als Marktplatz und der daraus resultierende Wettbewerb eine größere Auswahl und bessere Preise bedeuten. Die langfristigen Auswirkungen auf lokale Unternehmen und die Nachhaltigkeit des Sektors sind jedoch schwer abzuschätzen.
Zalando muss seine Karten neu mischen und innovative Wege finden, um in diesem veränderten Umfeld zu bestehen.
Nur durch eine Kombination aus strategischer Weitsicht, Anpassungsfähigkeit und Innovationskraft wird es Zalando gelingen, sich gegenüber dem aufstrebenden und schnelllebigen Shein zu behaupten und die eigene Position im Online-Modehandel zu sichern.
Zalando steht damit vor einem strategischen Wendepunkt. Die Option, Shein auf dem Weg zur Fast Fashion zu folgen, könnte zwar einen temporären Umsatzschub bedeuten, steht aber im Widerspruch zum wachsenden Bewusstsein der Verbraucher für Nachhaltigkeit und Qualität. Um in dieser neuen Ära bestehen zu können, muss sich Zalando klar von Shein abgrenzen und sich auf seine Stärken besinnen.
Eine Schlüsselstrategie für Zalando könnte darin bestehen, sich als Speerspitze für Qualität und Nachhaltigkeit im Massenmodehandel zu positionieren.
Durch eine stärkere Fokussierung auf ein sorgfältig kuratiertes Sortiment nachhaltig produzierter Artikel und Marken könnte das Unternehmen eine Nische besetzen, die von preisorientierten Plattformen bisher vernachlässigt wurde. Durch Partnerschaften mit umweltbewussten Designern und Labels kann Zalando Exklusivität und Neuartigkeit bieten, die Kunden anspricht, die Wert auf ökologische und soziale Verantwortung legen.
Der Schritt von Zalando Anfang des Jahres, seine Marktplatzteilnehmer durch ein neues Gebührenmodell in die Arme anderer Plattformen zu treiben, ist im Hinblick auf diese mögliche Strategie jedoch kontraproduktiv. Die hohen Kosten treiben Marken und Händler in erster Linie zu Amazon. Ausgerechnet zu dem Marktplatz, der in Sachen Mode bisher völlig versagt hat und außer im Segment banaler Unterhosen und Socken nicht wirklich fashionaffin war.
Echte Transparenz, nicht nur Lippenbekenntnisse
Transparenz in der Lieferkette, ein verbessertes Kundenerlebnis und stärkere CSR-Initiativen (Corporate Social Responsibility) können das Vertrauen in die Marke Zalando stärken und eine loyale Community schaffen. Kundenbindungsprogramme müssen nicht nur verkaufs-, sondern auch imagefördernd eingesetzt werden, um das Bewusstsein für nachhaltige Mode zu schärfen. So können Kunden gebunden werden, die bereit sind, für diese Werte mehr zu bezahlen.
Durch die Konzentration auf eine faire Preisgestaltung für qualitativ hochwertige Produkte kann Zalando zudem eine höhere Marge und ein besseres Betriebsergebnis erzielen.
Anstatt sich auf ein Massenpublikum zu konzentrieren, könnte das Unternehmen eine spezifischere Zielgruppe ansprechen: Kunden, die sich durch höhere Warenkörbe und eine größere Markentreue auszeichnen.
Denn mal ehrlich: Wie treu sind preisgetriebene Kunden? Wenn morgen ein noch billigerer Shein-Klon auftaucht, wird dort gekauft. Diese Kundenkarawane zieht immer weiter. Von Zara und H&M zu Primark und jetzt zu Shein. Ein anderer Anbieter wird folgen. Das ist kein Marktsegment, das einem langfristig denkenden Unternehmen Spaß macht.
In einem Markt, der zunehmend von Billigangeboten und schnelllebigen Trends gesättigt ist, könnte Zalandos verstärktes Engagement für Qualität und Nachhaltigkeit nicht nur ein Zeichen setzen, sondern auch der Weg aus der Preisspirale nach unten sein.
Verkäufe nicht mehr über Preisargumente, Rabatte und Gutscheine auszulösen, ist ein strategischer Paradigmenwechsel. Dieser bringt kurzfristige Herausforderungen mit sich, hat aber das Potenzial, langfristig ein nachhaltiges und ethisch vertretbares Geschäftsmodell zu etablieren, das weit über den heutigen Umsätzen liegen wird.
Quo Vadis Zalando
Die Frage ist, ob die Anteilseigner bereit sind, diesen zunächst schmerzhaften Weg mitzugehen, oder ob sich die oft stupiden Gesetze des „dummen Geldes“ der Investoren durchsetzen.
Kurzfristige Umsatz- und Gewinnzahlen versus langfristig erfolgreiche und rentable Unternehmens- und Markenführung; es wird sich zeigen, welchen Weg Zalando gehen wird, oder gehen muss.
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