Es gibt Studien, die ein Thema beleuchten. Und es gibt Studien, die ein Thema zerlegen. Die neue Untersuchung „How humans decide“ von WPP Media und der Oxford Saïd Business School gehört eindeutig zur zweiten Kategorie.
Sie basiert auf 1,2 Millionen realen Kaufentscheidungen in 47 Ländern und sie nimmt eine Grundannahme auseinander, auf der weite Teile des heutigen Performance-Marketings beruhen: die Idee, dass Kaufentscheidungen unten im Funnel entstehen.
Die Daten erzählen eine andere Geschichte. Eine sehr klare:
Die Studie zeigt, dass 84 Prozent aller Käufe im klassischen E-Commerce längst entschieden sind, bevor ein Kunde aktiv sucht.
Auf Marktplätzen und in Online-Shops: Überall dort, wo Käufe intent-getrieben stattfinden, suchen Menschen nicht, um Alternativen zu entdecken, sondern um das zu bestätigen, was sie innerlich längst entschieden haben. Sie betreten den aktiven Kaufprozess nicht neutral, sondern mit einem fest verankerten Marken-Bias.
Dieser Bias entsteht nicht im Klickmoment, sondern über Wochen, Monate oder Jahre hinweg, durch Erfahrungen, Bewertungen, Social Proof, kulturelle Präsenz, beiläufige Sichtbarkeit und Wiedererkennung.
Genau deshalb ist der Klickmoment, auf den Händler so viel Budget werfen, einer der schwächsten Momente in der gesamten Kaufentscheidung.
Der digitale Kaufprozess lässt sich auf drei psychologische Ebenen reduzieren: oben entsteht die mentale Präsenz einer Marke, in der Mitte wächst Vertrauen, unten wird nur noch abgewickelt. Der „untere Funnel“ umfasst die Phase, in der der Kunde aktiv sucht, filtert, vergleicht und kauft. Und genau dort setzen Händler den Großteil ihrer Budgets ein: Google Ads, Shopping-Anzeigen, Sponsored Products, Retargeting.
Doch an dieser Stelle ist die Entscheidung in den allermeisten Fällen bereits gefallen.
Händler versuchen im unteren Funnel zu überzeugen, obwohl der Kunde innerlich längst entschieden hat. Das ist, als würde man versuchen, einen Zug aufzuhalten, der schon abgefahren ist.
Daraus entsteht die PPC-Falle, in der so viele Händler hängen bleiben, oft jahrelang. Oder bis zur Pleite. Sie bezahlen für Klicks von Menschen, die ohnehin gekauft hätten. Die Performance-Zahlen wirken stabil, die Macher der Performance-Agenturen loben sich für den tollen TACoS, doch all das misst nur den Abschluss einer Entscheidung, nicht ihren Ursprung.
Paid eignet sich mit dem TACoS Erfolge an, die eigentlich aus dem Brandbuilding resultieren.

Noch deutlicher wird der Befund, wenn man die Wirkung verschiedener Kontaktpunkte vergleicht: Empfehlungen, Reviews, Social Proof und CRM, also Owned-, Shared- und Earned-Media, haben laut Studie fast drei Mal so starken Einfluss auf Kaufentscheidungen wie Paid Media. Nicht, weil Paid unwichtig wäre, sondern weil Paid erst funktionieren kann, wenn die Entscheidung zuvor mental vorbereitet wurde.
Damit wird klar: Das eigentliche Problem vieler Händler ist nicht ihre Werbung, es ist ihre Kommunikation.
Viele beginnen erst dann zu sprechen, wenn sie verkaufen wollen. Doch die Daten zeigen eindeutig, dass Kommunikation lange vor dem Kauf stattfinden muss, wenn sie wirken soll. Relevanz entsteht nicht im Moment einer Anzeige. Relevanz entsteht, wenn eine Marke bereits im Kopf vorhanden ist, bevor jemand überhaupt daran denkt, ein Produkt zu kaufen.
- Marke entsteht oben, nicht unten.
- Umsatz entsteht oben, nicht unten.
- Und Profit entsteht oben, nicht unten.
Trotzdem tappen viele Händler aus Zeitmangel, operativem Druck oder kurzfristigem Denken immer wieder in dieselbe Falle: Sie verschieben Markenarbeit nach hinten, weil das Tagesgeschäft drückt – und bezahlen später einen hohen Preis. Denn wer Marke, Newsletter, Community und Wiedererkennbarkeit vernachlässigt, muss jeden Kunden teuer einkaufen. Und die Klickpreise kennen langfristig nur eine Richtung: nach oben.
Die Erfahrung aus 25 Jahren E-Commerce zeigt: Unternehmen, die dauerhaft jeden einzelnen Kauf über PPC finanzieren müssen, haben kein robustes Geschäftsmodell. Händler ohne Marke, ohne Community und ohne eigene Reichweite müssen steigende CPCs mitgehen – und schießen sich damit gemeinsam in eine Spirale aus steigenden Kosten, sinkenden Margen und wachsender Austauschbarkeit. Firmen sterben nicht, weil sie keine Kunden hätten, sondern weil sie ihre Kunden permanent einkaufen müssen – und am Ende mehr dafür bezahlen, als sie verdienen.
Die WPP-/Oxford-Studie ist deshalb keine Marketingstudie, sondern ein strategisches Warnsignal. Sie zeigt klar, warum so viele Unternehmen trotz hoher PPC-Budgets stagnieren – und was sie ändern müssen, um langfristig profitabel zu bleiben.
Was heißt das für dich als Händler?
Dieser Forschungsbefund ist kein theoretisches Modell. Er ist eine konkrete Handlungsanweisung.
Erstens:
Versuche nicht, fehlende Marke mit mehr PPC zu kompensieren.
Je mehr du investierst, desto weniger Wirkung bekommst du – weil du am falschen Punkt ansetzt.
Zweitens:
Baue frühzeitig Marken-Bias auf.
Werde regelmäßig sichtbar. Einfach. Verlässlich. Wiedererkennbar.
Drittens:
Nutze deine eigenen Kanäle.
eMail, Social, Community, Reviews – sie wirken drei Mal stärker als Paid.
Viertens:
Schiebe Social & Community nicht länger vor dir her.
Heute investieren bedeutet: morgen weniger bezahlen.
Fünftens:
Setze Paid erst dann ein, wenn die Basis steht.
Paid ist ein Verstärker – nie das Fundament.
Wenn man all das auf den Punkt bringt, bleibt eine einfache, aber kompromisslose Logik:
- Marke vor Performance.
- Community vor Kampagne.
- Präsenz vor Conversion.
Genau in dieser Reihenfolge. Denn alles andere ist nur teuerer Aktionismus.
Und genau an diesem Punkt sollten sich Händler nicht länger von glänzenden Case-Studies, perfekt gestylten Charts oder den endlosen Erfolgserzählungen diverser PPC-Agenturen einlullen lassen. Vieles davon ist großartige Selbstvermarktung, aber kein Beweis für belastbares, ganzheitliches Marketing.
Gerade jetzt, da KI große Teile des alten Agenturgeschäfts im Bereich Performance automatisiert und zahlreiche Geschäftsmodelle ins Wanken bringt, wird ein Teil der Branche zwangsläufig lauter, aggressiver und drängender auftreten. Das ist ein Reflex aus Angst, nicht ein Zeichen von Expertise. Und Händler dürfen genau diesem Reflex nicht auf den Leim gehen.
Performance ist im Onlinehandel nicht der Anfang, sondern das Ende. Sie gehört dorthin, wo sie hingehört: ganz an den Schluss.
Erst nachdem eine Marke aufgebaut wurde. Erst nachdem Social zuverlässig trägt. Erst nachdem eine echte Community entstanden ist. Erst nachdem KOLs und KOCs echte Empfehlungen erzeugen. Und vor allem erst dann, wenn eine klare, strategische Kommunikation überhaupt Nachfrage geschaffen hat.
Wer diese Reihenfolge beherrscht und endlich konsequent lebt, macht sich frei von steigenden Klickpreisen, gewinnt Kunden lange bevor Konkurrenz überhaupt sichtbar wird und baut ein Geschäft auf, das nicht nur verkauft, sondern überlebt. Alle anderen werden weiter bezahlen. Und zwar teuer.
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